Viele möchten aus Überzeugung «nachhaltig» investieren. Mit ESG ETFs ist das möglich: Kein Öl, keine Waffen, keine Tabakriesen. Tönt super – aber die Realität ist etwas weniger sauber.
ESG, Screened, SRI – was steckt dahinter?
ESG ETFs filtern Unternehmen nach Nachhaltigkeitskriterien:
- E (Environmental): Umweltschutz, CO2-Emissionen, Ressourcenverbrauch
- S (Social): Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Diversität
- G (Governance): Unternehmensführung, Korruptionsbekämpfung, Transparenz
Index-Herausgeber unterscheiden dabei verschiedene Ansätze. Bei MSCI sind es unter anderem (vom mildesten zum strengsten):
- ESG Screened: Klassisches Ausschlussprinzip. Themen wie kontroverse Waffen (inkl. Nuklearwaffen und Zivilwaffen), Tabak, Thermalkohle, Palmöl, Ölsande und arktisches Öl/Gas werden ausgeschlossen, ebenfalls Firmen, die gegen die UN Global Compact Prinzipien verstossen. Der Index behält so noch über 90% des ursprünglichen Universums – also sehr breite Diversifikation mit Basisfiltern.
- ESG Leaders: Best-in-Class-Ansatz. Nur die besten 50% der Unternehmen pro Branche (nach ESG-Rating) werden aufgenommen. Etwa halb so viele Unternehmen wie im Standard-Index.
- SRI (Socially Responsible Investing): Der strengste Ansatz. Nur die besten 25% pro Branche und Region werden selektiert (Mindestrating: A). Zusätzlich umfassende Ausschlüsse beinhalten Tabak, Alkohol, Glücksspiel, Waffen, Nuklearenergie, Gentechnik, Thermalkohle, Erwachsenenunterhaltung und mehr. Vom MSCI World (ca. 1’300 Titel) bleiben nur etwa 400 übrig.
- SRI Filtered PAB: Kombiniert die strenge SRI-Selektion mit Klimazielen des Pariser Abkommens (50% CO₂-Reduktion, jährlich 7% Dekarbonisierung). Die strengste verfügbare Standard-Variante von MSCI.
Das klingt alles sinnvoll – aber zeigt auch: Nur, weil ESG drauf steht, ist ein ETF nicht unbedingt nachhaltig. Es gibt keinen einheitlichen Standard und ESG ist kein geschützter Begriff. Jeder Anbieter definiert selbst, was er darunter versteht. Ausserdem messen ESG-Ratings meist nur das Risikomanagement und Reporting eines Unternehmens, nicht den tatsächlichen positiven Einfluss auf Umwelt oder Gesellschaft (mehr dazu später).
ESG ist nicht unbedingt wirklich nachhaltig
Wenn wir uns einmal die Top-Positionen vieler ESG ETFs anschauen, fällt auf, dass da oft Firmen zuoberst sind, die nicht unbedingt «sauber» im klassischen Sinne sind:
- Tesla (energieintensive Produktion, problematische Lieferketten, Kritik an Arbeitsbedingungen)
- Amazon (hoher Ressourcenverbrauch, Diskussionen um Arbeitsbedingungen)
- Microsoft (Kooperationen mit Öl- und Gaskonzernen über Cloud- und Datenlösungen)
Warum? Weil viele ESG ETFs den «Best-in-Class»-Ansatz nutzen: Sie nehmen die «besten» Unternehmen aus jeder Branche – auch wenn die Branche selbst problematisch ist.
Greenwashing ist überall
Studien zeigen: Die ESG-Ratings verschiedener Agenturen widersprechen sich massiv. Ein Unternehmen kann bei einer Agentur top abschneiden und bei einer anderen durchfallen. Warum? Weil jede Agentur andere Kriterien und Gewichtungen hat (Berg et al. 2019/2022).
Konkretes Beispiel: Der «iShares MSCI World Screened» enthält über 1’200 Unternehmen. Zum Vergleich: Der normale MSCI World hat 1’322. Ist das ein radikaler Ausschluss?
Weit oben dabei: Amazon. Der Konzern verbraucht für sein Logistiknetzwerk enorme Mengen an fossilen Brennstoffen. Warum gelten sie trotzdem als nachhaltig? Weil sie CO2-Kompensationen kaufen und «Net Zero»-Ziele haben. Das Problem: Carbon-Credits sind kein Ersatz für echte Emissionsreduktion. Das ist, wie wenn du jeden Tag Fast Food isst, aber dafür jemand anderem ein Fitness-Abo bezahlst.
Dein Impact ist begrenzt
Wenn du Aktien oder einen ETF kaufst, erwirbst du sie in der Regel von einem anderen Investor. Es fliesst dabei kein neues Kapital ins Unternehmen. Viele denken deshalb: «Mein Impact ist null.» So einfach ist es nicht.
Theoretisch kann der Mechanismus wirken: Wenn viele Investoren eine Branche meiden, sinkt die Nachfrage nach diesen Aktien. Das erhöht die Kapitalkosten – also wie teuer es für Unternehmen wird, an frisches Geld zu kommen. Höhere Kapitalkosten können langfristig strategische Entscheidungen beeinflussen.
Praktisch zeigen Studien: Der Effekt ist verschwindend klein. Selbst wenn eine grosse Mehrheit von Investoren mitmachen würde, verändert Divestment – also das Meiden bestimmter Aktien – Kapitalkosten nur um etwa 0,44 Basispunkte (Berk & van Binsbergen 2024). Zu wenig, um für Unternehmen relevant zu sein.
Warum ist das anders als etwa auf Flugreisen zu verzichten? Bei Flügen gibt es einen direkten Zusammenhang: Weniger verkaufte Tickets führen zu weniger Umsatz und damit irgendwann zu weniger Flügen. Bei Aktien funktioniert es anders: Das operative Geschäft lebt vom Umsatz, nicht vom Aktienkurs. Shell pumpt morgen noch Öl, egal ob die Aktie bei 30£ oder 1£ steht. Der Aktienkurs wirkt sich höchstens auf mögliche zukünftige Kapitalerhöhungen oder Übernahmen aus, nicht aber auf das Tagesgeschäft.
Wo ESG-Investing eher funktioniert: Grosse Vermögensverwalter können über Stimmrechte Druck ausüben (Stewardship). Das kann Wirkung haben – aber primär auf institutioneller Ebene. Für dich als ETF-Anleger bleibt der direkte Einfluss begrenzt.
Das bedeutet: Der Impact von passivem ESG-Investing ist selbst bei breiter Beteiligung kaum messbar. Wer gezielten Impact will, findet ihn eher bei Direktinvestments in nachhaltige Projekte, Green Bonds oder Spenden.
ESG misst nicht, was du denkst
Das wird dich vielleicht überraschen, aber: ESG-Ratings messen nicht, wie nachhaltig ein Unternehmen handelt. Sie messen, wie sehr ein Unternehmen von ESG-Risiken betroffen ist und wie gut es diese managt.
Das ist ein riesiger Unterschied. ESG beantwortet nicht die Frage: «Wie viel Gutes tut dieses Unternehmen für die Welt?» Sondern: «Wie stark könnten Umwelt-, Sozial- oder Governance-Probleme diesem Unternehmen schaden?»
Ein Unternehmen kann also ein starkes ESG-Rating haben, ohne besonders «grün» zu sein – einfach weil es Risiken sauber dokumentiert, Prozesse klar regelt und entsprechende Standards einhält. Umgekehrt kann ein kleines, wirklich nachhaltig arbeitendes Unternehmen schlecht abschneiden, weil es weniger Ressourcen für Reporting, Audits und Compliance-Strukturen hat.
Was funktioniert: Harte Ausschlüsse. Wenn ein ETF kategorisch Waffen, Öl oder Kohle ausschliesst, dann sind diese Branchen wirklich draussen – unabhängig vom ESG-Rating. Aber: Die Strenge variiert massiv. «ESG Screened» behält über 90% der Unternehmen, «SRI» nur etwa 25%. Wenn dir Nachhaltigkeit wichtig ist, reicht ein minimaler Filter nicht.
Die unangenehme Frage: Und was ist mit dir selbst?
Mal ehrlich: Du investierst vielleicht in ESG-ETFs, hast aber trotzdem ein iPhone – mit all den indirekten Folgen: Arbeitsbedingungen in asiatischen Fabriken, Batterie-Produktion mit seltenen Erden, geplante Obsoleszenz. Du verwendest ChatGPT, obwohl KI-Rechenzentren enorme Mengen Strom verbrauchen.
Das ist keine Heuchelei – es ist Realität. Komplett raus aus dem System kannst du nicht. Die Frage ist: Wo ist dein Hebel am grössten? Wie bereits gezeigt: Passives ESG-Investing hat kaum messbaren Effekt. Dein persönlicher CO2-Fussabdruck ist hingegen messbar und beeinflussbar: Ein Transatlantikflug entspricht etwa 1,5 Tonnen CO2, Ernährung und Mobilität machen ebenfalls signifikante Anteile aus.
Das heisst nicht, dass ESG-Investing nutzlos ist. Aber wenn du echten, messbaren Impact willst, ist dein direktes Verhalten die einfachere Stellschraube. Anstatt an perfekten ESG-Kriterien zu verzweifeln, kannst du dort konsequent sein, wo’s für dich machbar ist.
Persönliches Fazit: Was nun?
Wenn dir Nachhaltigkeit beim Investieren wichtig ist, dann mach es richtig. Filtere nicht einfach nach ESG-ETFs und wähle den erstbesten. «ESG Screened» mit minimalen Ausschlüssen ist Marketing, kein Impact. Prüfe genau, was drin ist, und such dir ETFs mit klaren, harten Ausschlusskriterien – wie die SRI- oder PAB-Varianten, die weiter oben beschrieben sind.
Einen perfekten Mix aus nachhaltigen Firmen wirst du nicht finden. Best-in-Class bedeutet immer Kompromisse, und selbst die strengsten Filter lassen diskutable Unternehmen durch. Aber: Es ist besser als nichts, und für manche ist es wichtig, zumindest die schlimmsten Branchen nicht im Portfolio zu haben.
Und vergiss nicht: Dein Alltag ist die einfachere Stellschraube. Wie oft fliegst du? Wie lange trägst du deine Kleider? Wie bewegst du dich fort? Das sind keine rhetorischen Fragen – das sind die Bereiche, wo du messbaren Impact hast.
ESG-Investing ist kein Ablasshandel fürs Gewissen. Es ist ein Werkzeug mit Grenzen – und wenn du es einsetzt, dann mit Verstand.
Konkrete ESG ETFs
Möchtest du in nachhaltige ETFs investieren, findest du bei JustETF 241 Resultate. Nachfolgend sind Beispiele für ETFs, die meiner Meinung nach die strengsten Kriterien haben. Aber entscheide für dich selber, wie stark du mit deinem ESG-Investment filtern möchtest. Wie wir gesehen haben, gibt es Stufen von «immerhin die schlimmsten 5% raus» bis «schon fast ein gutes Gewissen».
Industrieländer: Amundi MSCI World SRI Climate Paris Aligned (IE000Y77LGG9)
Der MSCI World SRI Filtered PAB hat die strengsten Kriterien von MSCI. Im ETF sind Unternehmen, die im Vergleich mit der Konkurrenz aus ihrem Sektor über ein hohes ESG-Rating verfügen. Ausgeschlossen sind Unternehmen, die wesentliche Teile ihres Geschäfts in nicht nachhaltigen Geschäftsbereichen erwirtschaften. Darüber hinaus finden EU-Richtlinien zum Klimaschutz Berücksichtigung.
Amazon, Microsoft oder Tesla sind hier nicht dabei. Problem: Teilweise Best-in-Class, also nicht unbedingt ein definitiver Ausschluss, wenn die Branche selber problematisch ist.
Schwellenländer: Amundi MSCI Emerging Markets SRI Climate Paris Aligned (LU1861138961)
Dieselben Kriterien wie beim MSCI World SRI Climate Paris Aligned, aber für Schwellenländer.
All-World: UBS MSCI ACWI Socially Responsible (IE00BDR55471)
Ausgangsindex ist der MSCI ACWI, also sehr breit diversifiziert über Industrie- und Schwellenländer. Von den rund 2’500 Unternehmen verbleiben noch 562, schliesst also relativ stark aus. Trotz «Best-in-Class» Ansatz hat er harte Ausschlüsse bei kontroversen Waffen oder fossilen Brennstoffen.
Wenn du mit einem ETF die ganze Welt abdecken möchtst, ist das in meinen Augen eine gute Wahl, wenn auch etwas legèrer als der SRI Filtered PAB.